C D s
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NEUES AUS
DER MUSIKWELT
OLDIES
The Small Faces
von Franz
Schöler
Franz Schöler ist seit über 40
Jahren aufmerksamer Be-
obachter der Musikszene. In
STEREO kommentiert er neu
erschienene Aufnahmen der
Rock- und Popgeschichte.
Q uicksilver Messenger Service
LIVE AT THE FILLMORE JUNE 7, 1968
Cleopatra/H’Art 2 CDs (auch als LP)
(85’)
REPERTOIREWERT
★ ★ ★ ★
ÜBERSPIELQUALITÄT ★ ★ ★
Tom Donahue, Chef des wichtigsten
und damit einflussreichsten jungen
UKW-Senders der Bay Area, prote-
gierte lieber andere aufstrebende
San-Francisco-Bands wie Jefferson
Airplane oder Grateful Dead. Was
Capitol nicht hinderte, neben der
Steve Miller Band auch den Quick-
silver Messenger Service nach dem
formidablen Auftritt in Monterey
ebenfalls unter Vertrag zu nehmen.
Die hatten aus Buffy Sainte-Ma-
U N C L E T U P E L O
NO DEPRESSION
Uncle Tupelo
NO DEPRESSION: LEGACY EDITION
Sony Legacy 2 CDs (auch als LP erhältlich)
(115’)
REPERTOIREWERT
★ ★ ★ ★
ÜBERSPIELQUALITÄT ★ ★ ★ “ ★
Als Teenager noch Punkrocker in
einer Band mit dem programmati-
schen Namen The Primitives, ent-
deckten Jeff Tweedy und Jay Far-
rar
1987
- beide jetzt schon
20
-
ihr Faible für traditionellste ame-
rikanische Volksmusik der
1920
er
Jahre. Für ihre erste LP nahmen sie
den A. P. Carter-Klassiker auf, der
dem Debüt den Titel gab: Ab so-
fort wurde „No Depression“ zum
Tenor der ganzen AltCountry/Ame-
ricana-Bewegung, nach dem sich
auch eine darauf spezialisierte
ries Anti-Drogen-Folksong „Codi-
ne“ ein psychedelisches Kabinett-
stück gemacht. Aus gänzlich origi-
nellen Rhythm & Blues-Klassikern
von Bo Diddley wiederum zauber-
ten sie LSD-inspirierte Jams, bei de-
nen sich die Gitarristen Gary Dun-
can und John Cipollina gegenseitig
befeuerten.
Auch Blues von Howlin’ Wolf mu-
sizierten sie als Marathon-Improvi-
sationen. Aus Dave Brubecks Ohr-
wurm „Take Five“ machten sie die
psychedelische Meditation „Aca-
pulco Gold And Silver“, allerdings
ohne den Komponis-
ten oder die Quelle der
Inspiration namentlich
zu benennen. An ihre
Folk-Wurzeln erinner-
ten sie in Konzerten wie
auch bei der Debüt-LP
mit ihrer Aufnahme von
Hamilton Camps „Pride
Of Man“. „Happy Trails“,
das Meisterwerk der
Band, war ein faszinie-
render Mix aus Studio-
und Live-Aufnahmen.
Ihre Konzerte doku-
mentierte bislang kein
Mitschnitt besser als
Publikation benennen sollte. Den
Spagat zwischen Punkrock und
Country Music hatten Jahre zuvor
andere wie die Cow-Punk-Pionier-
band Jason & The Nashville Scor-
chers und auch Lone Justice ge-
wagt, jenes Quartett, bei dem Ma-
ria McKee öfter so klang, als hätten
The Clash in der jungen Dolly Par-
ton ihre neue Sängerin gefunden.
Auf vergleichbare PR wie diese
durch Platten-Mogul David Geffen
durften Uncle Tupelo nicht hoffen.
Das College Media Journal immer-
hin kürte Uncle Tupelo zur „best
unsigned band“ des Jahres
1989
.
Wenige Monate später doch un-
ter Vertrag, nahmen sie für das In-
die-Label Rockville Records das
Debüt auf - für das „astronomi-
sche“ Produktions-Budget von
3500
Dollar. (Schlagzeuger Mike
Heidorn beharrte in seinen Liner
Notes für die Remaster-Edition des
Albums von
2003
darauf, es seien
3000
Dollar gewesen.) Auf einen
Song wie „No Depression In He-
aven“ zurückzugreifen, war eine
Entscheidung. Sich von kommer-
ziell glattem Country Rock zu di-
stanzieren, die andere, komple-
mentäre.
der jetzt auf
2
-CD-Set erschiene-
ne aus dem Privatarchiv von Gitar-
rist Gary Duncan. Dieser Auftritt im
Fillmore war eine Sternstunde des
psychedelischen West Coast Rock
mit John Cipollina in überragen-
der Form: der Stoff, der Quicksil-
ver Messenger Service als Legen-
de bis heute unvergessen macht.
Zu solchem Nachruhm brachte es
die danach als das Star-Ensemble
des Abends aufgetretene Electric
Flag nie - ihrem nicht minder phä-
nomenalen Gitarristen Mike Bloom-
field zum Trotz.
Genau genommen war Uncle
Tupelo aber immer schon zwei
Bands, Jahre bevor sie sich in Wilco
und Son Volt aufspalteten. In einem
Song wie „Whiskey Bottle“ bringen
sie Punk und Uralt-Country wunder-
bar in Einklang, während in „Train“
der Punk im Cowpunk siegt und da-
nach „Life Worth Livin’“ wie später
auch gelegentlich andere Songs der
Band an den Bruce Springsteen von
„Nebraska“ erinnern. Beim Folk-
rock-Finale - Leadbellys „John Har-
dy“ - liegt der Akzent wieder klar
auf Rock. Den Flying-Burrito-Bro-
thers-Evergreen „Sin City“ (Zuga-
be schon auf der Remaster-CD von
2003
) singen sie im Duett, als sei’s
ein Stück von den Louvin Brothers.
Reizvoll ist allemal der Ver-
gleich mit den
17
Demos auf der
zweiten CD der Deluxe-Ausga-
be. Dort ist etwa „Whiskey Bott-
le“
mehr
Folk-stilisiert:
Statt
der späteren
Pedal-Steel-Gitar-
re ist eine Mundharmonika pro-
minent im Arrangement platziert.
Wobei im Übrigen dieses Demo
schon wie eine perfekte Studio-
produktion klingt. Das Original-Al-
bum wurde im Vic-Anesini-Remas-
ter von
2003
übernommen.
GREATEST HITS -
THE IMMEDIATE YEARS 1967-1969
Immediate CD
(54’)
REPERTOIREWERT
★ ★ ★ ★ ★
ÜBERSPIELQUALITÄT ★ ★ ★ *★
Auf die Idee, die Rolling-Stones-
Hits, mit denen die Karriere der
Band nach „Satisfaction“ zum gro-
ßen Höhenflug abhob, endlich auch
in den großartigen Stereo-Mixes zu
veröffentlichen, ist bei Abkco in den
USA bisher niemand gekommen.
Die seinerzeit von Dave Hassinger
in den RCA-Studios produzierten
Aufnahmen etwa zirkulieren unter
Sammlern seit Jahren in umwerfend
guter Klangqualität, trotzdem wur-
den sie nicht in der von Jody Klein
2003
auf Hybrid-SACD vorgelegten
Remaster-Serie der „Hot Rocks“-
und „London Years“-Retrospekti-
ven berücksichtigt.
Irgendwo scheint vielmehr gar
die „Back to mono!“-Fraktion neu-
erdings wieder Sympathisanten
zu finden. Otis Reddings
3
-CD-Set
„The Complete Stax/Volt Singles
Collection“ (Musik: fünf Sterne)
rühmten Kritiker ausdrücklich ob
der Tatsache, dass hier ausnahms-
los die Mono-Single-Mixes zur
Überspielung verwendet wurden.
Bei den allermeisten Aufnahmen des
brandneuen
4
-CD-Sets „The King Of
Soul“
(Musik:
viereinhalb Ster-
ne) handelt es
sich
ebenfalls
um die Mono-Fas-
sungen.
Die
neueste
Hit-Kollektion
der Small Faces
bewirbt Charly Records auch damit,
dass hier die Analog-Original-Mo-
no-Mixes überspielt wurden, und
zwar „pitch-corrected“ in korrek-
ter Absolut-Tonhöhe wie seinerzeit
die Vinyl-Singles. Tatsächlich sind
die Unterschiede aber letztlich so
gering, dass sie nur den wenigs-
ten Fans auffallen dürften. Die Mo-
no-Nostalgie hat ihren Preis: Die
spektakulären Psychedelik-Effek-
te der Stereo-Mixes - die Small Fa-
ces damals richtig „progressiv“! -
kommen praktisch kaum mehr zur
Geltung.
Parallel ist mit reichlich Ste-
reo-Mixes in sündteurer Liebha-
ber-Deluxe-Edition „Here Come
The Nice: The Immediate Years Box-
Set
1967
-
1969
“ (Musik: viereinhalb
Sterne) eine weniger monomane
Retrospektive erschienen.
O L D IE
DES
M O N A T S
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht
STEREO 5/2014 135